Nachhaltigkeit im E-Commerce

Nachhaltigkeit im E-Commerce

13. Oktober 2021

Mona Wagner

Zweifellos: Nachhaltigkeit boomt. Zwar war schon vor der „Fridays for Future“-Bewegung Nachhaltigkeit gefragt, der „Greta“-Effekt hat aber seinen Teil dazu beigetragen, das Thema noch stärker im Bewusstsein zu verankern. Was, wie die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal drastisch zeigt, dringend notwendig ist. Laut Studien hat für zwei von drei Konsumenten Nachhaltigkeit eine große Bedeutung. Jeder Vierte ist sogar bereit für umweltfreundliche Produkte mehr Geld auszugeben. Wobei hier die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen dominiert.

Online-Shopping: doch nachhaltiger als gedacht

Nur ein kurzer Klick per Maus und schon sind die neuen Schuhe auf dem Weg zum Konsumenten. Die digitale Einkaufswelt ist praktisch, schnell, vielfältig – und extrem beliebt. Von Jahr zu Jahr steigen die Umsatzzahlen. Alleine in Deutschland sind die Anteile des Online-Handels am Einzelhandelsumsatz seit der Jahrtausendwende um mehr als das 40-fache gestiegen. Aber ist diese neue schöne Einkaufswelt, ist dieser Online-Handel auch umweltfreundlich? Schließen sich Nachhaltigkeit und Online-Shopping nicht gegenseitig aus? Kann E-Commerce klimaschonend sein, trotz Paketflut und Lieferwagen in verstopften Innenstädten?

Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel geht davon aus:

„Der Onlinehandel ist sogar nachhaltiger als der stationäre Handel. (…). Es ist definitiv besser für die Umwelt, 100 Päckchen in einem Auto auszuliefern, als dass 100 Autos sich in die Innenstädte oder zum Einkaufszentrum auf der Grünen Wiese quälen.“

Eine Studie der Unternehmensberatung Oliver Wyman und der Logistics Advisory Experts GmbH, einem Spin-off der Universität St. Gallen, unterstützt Fischer. Denn die Autoren folgern, dass ein schlechtes Gewissen bei Online-Bestellungen unbegründet ist, zeigen doch Berechnungen über die gesamte Lieferkette, dass bei der Klimabilanz der Online-Handel sogar besser abschneidet als der stationäre Handel.

Mitentscheidend für diese bessere Klimabilanz des Online-Handels ist die permanente Prozessoptimierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Kritisch einwenden kann man, dass die Studie von Oliver Wyman und den Experten der Universität St. Gallen zwar unabhängig durchgeführt wurde, aber im Auftrag von Amazon erfolgte.

Fashion & Accessoires mit schlechter Klimabilanz

Die bereits zitierte Studie von Wyman zeigt, dass die Umweltbelastung des Handels je nach Land und Produkt stark schwankt. Am höchsten ist der CO2-Ausstoß (die Studie verwendet als Maßeinheit CO2-Äquivalenten) im stationären Modehandel. Im deutschen Modehandel erzeugt ein Produkt im stationären Geschäft durchschnittlich 4291 Gramm CO2-Äquivalente. Beim Online-Kauf fallen lediglich 1.096 Gramm CO2-Äquivalente an. Mit anderen Worten: Ein Bekleidungsstück, das im stationären Handel gekauft wird, verursacht fast 4mal mehr Emissionen als beim Onlinekauf.

Die Gründe für diesen Unterschied sind vielfältig. Der Hauptgrund ist jedoch der hohe Anteil an fossiler Energie, der beim Heizen und Beleuchten der Filialen anfällt. Fast 60 Prozent der Umweltbelastung wird hierdurch verursacht. Im Vergleich mit den anderen in der Studie bewerteten Branchen belegen Fashion & Accessoires in puncto Umweltbilanz den letzten Platz. Und das, obwohl sich in der steigenden Relevanz von Secondhand im Fashionbereich das Bedürfnis der Konsumentinnen und Konsumenten nach bewussterem Konsum von Kleidung widerspiegelt.

Publikation „Die Ökologisierung des Onlinehandels“ vom Umweltbundesamt (Zusammenfassung s. S. 39)

Gutes kann noch besser werden

Dennoch, trotz günstiger Umweltbelastung gibt es auch im Online-Handel noch kritische Punkte. Berge aus Papiermüll durch Einweg-Pakete, Füllmaterial aus Kunststoff, der Trend zu immer schnelleren Lieferungen oder die zunehmende Zahl von Retouren belasten die Umwelt unnötig. Folgt man Studien, dann landet jede achte Lieferung als Retoure wieder beim Versandhändler. 2019 waren das rund 500 Millionen Artikel, so das Ergebnis der Forschungsgruppe Retourenmanagement der Universität Bamberg. Im Fashionbereich wird fast jedes zweite Paket zurückgeschickt. Macht 800.000 Pakete täglich, was 400 Tonnen CO2 entspricht oder 255 Autofahrten von Frankfurt nach Peking. Nachhaltig online shoppen ist das nicht.

Dass nachhaltige Lieferoptionen bei Verbrauchern dennoch hoch im Kurs stehen, zeigt eine IPC-Studie. 61 Prozent der Online-Käufer wünschen sich eine nachhaltige Lieferung. 66 Prozent akzeptieren dann auch längere Lieferzeiten. (IPC Shopper Survey 2019)

„Consumers also strongly agreed that they would prefer the delivery of their parcels to be carbon-neutral and that they would be willing to receive packages a few days later to reduce the environmental impact.“ (IPC Shopper Survey 2019)

Hier kann der Online-Handel punkten. Durch Optimierung der Paketgrößen wird Verpackungsmaterial reduziert, und wiederverwendbare Materialien aus nachhaltigen Quellen und Mehrfachverwendung schonen das Klima und reduzieren den Müllberg.

Für 85 % der Konsumenten ist nachhaltiges Verpackungsmaterial wichtig. 52 % suchen gezielt nach Produkten mit umweltfreundlicher Verpackung.

Auch bei der Logistik ist ein Beitrag zum Klimaschutz leicht möglich. Große Onlinehändler können durch Lean-Management Zustellrouten optimieren. Kleinere Händler können sich mit Versandunternehmen zusammentun, die größere Mengen zusammenbringen und somit effiziente und ökologische Lieferungen ermöglichen.

Zustellbetriebe können auf klimaneutrale Energien und nachhaltige Versandkonzepte setzen, um ihre Klimabilanz zu verbessern. Vor allem digitale Technologien helfen dabei, Ressourcen optimal einzusetzen und Verschwendung zu vermeiden. Die Green-Logistik bietet zahlreiche Methoden, mit denen sich CO2 einsparen und die Umwelt entlasten lässt.

Einfluss von Retouren auf die Nachhaltigkeit

Weitaus schwieriger wird es beim wichtigen Thema „Retouren“. Immer wieder genannte Gründe für Retouren sind:

  • der bestellte Artikel gefällt nicht
  • der Artikel passt nicht
  • es wurden mehrere Varianten des Artikels bestellt
  • der Artikel ist beschädigt
  • es wurde versehentlich ein falscher Artikel bestellt

Die Aufzählung der Hauptursachen für Retouren zeigt deutlich, dass bereits aussagekräftige Artikelbeschreibungen, detaillierte Produktdarstellungen (am besten dreidimensional durch Videos) oder sogar die Darstellung des Produkts mittels Augmented Reality die Anzahl der Retouren reduzieren können. Optimierte PIM-Systeme (Product Information Management Systeme) sind hierbei eine wichtige Stütze, denn diese sind für die Produktdatenqualität essentiell (mehr dazu weiter unten). Intelligente Algorithmen (Predictive Analytics) ermöglichen es, besser auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Kunden einzugehen und künstliche Intelligenz kann beispielsweise die ideale Kleidergröße berechnen.

Sollte es dennoch zu einer Rücksendung kommen, dann gibt es das Rücksendeetikett digital per QR-Code. Jeder Sendung beiliegende Rücksendeetiketten aus Papier, die überwiegend im Müll landen, sind überflüssig. Noch besser und kundenfreundlicher wäre das in den USA bereits eingeführte „Buy Online, Return in Store (BORIS)“. Mit dem Customer Service BORIS kann online gekaufte Ware bequem in speziellen Annahmestellen retourniert werden – sogar ohne Umverpackung. Da in den Annahmestellen die Rücksendungen gebündelt werden, entstehen weniger Transporte. Das schont die Umwelt und spart Kosten.

Auch Online-Shopper sind gefordert

Alles Faktoren, die in der Verantwortung des Versenders liegen. Aber auch die Verbraucher und ihre Einstellung zum Onlinehandel sind gefragt. Zweifellos ist das Anprobieren von Kleidern oder Schuhen daheim bequemer als in einer engen und oft nur schwach ausgeleuchteten Umkleidekabine. Aber mit dem Hintergedanken „Ich kann ja mal eine Auswahl bestellen, den Rest schicke ich dann zurück“ einen Artikel in mehreren Größen oder Farben zu bestellen, passt nicht in die Zeit und zum Trend nach Nachhaltigkeit und Klimaschutz.

Vor diesem Hintergrund ist auch die, bei einem Warenwert von über 40 Euro sogar gesetzlich vorgeschriebene, kostenlose Rücksendemöglichkeit kritisch zu hinterfragen. Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass schon eine geringe Rücksendegebühr von drei Euro die Retourenquote um 16 Prozent senkt. Kunden haben noch weitere Möglichkeiten, nachhaltig online zu shoppen. Der Verzicht auf Expresslieferungen oder die Nennung von alternativen Zustellmöglichkeiten, beispielsweise an eine 24h Packstation in der Nähe oder eine Filiale, entlasten die Logistik von unnötigen Zustellfahrten.

Nachhaltigkeit als Pluspunkt im Wettbewerb

Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz sind wichtige Themen, auch für den Online-Handel. Laut einer YouGov-Umfrage von Trusted Shops aus dem Jahr 2019 legen 60 Prozent der Deutschen Wert auf Nachhaltigkeit beim Einkaufen im Internet. Was vielleicht erklärt, dass jeder vierte Online-Shopper und fast jede dritte Online-Shopperin aus Gründen des Klimaschutzes weniger im Internet bestellen will. Online-Versender sind daher gut beraten, das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz mehr in den Mittelpunkt ihres täglichen Geschäfts zu rücken. Zwar ist der Online-Handel nicht der Klimakiller, aber Verpackung, Mehrfach-Anfahrten oder Retouren verschlechtern die Klimabilanz und stehen immer wieder in der Kritik.

Hier kann, hier muss der Online-Handel aktiv reagieren. Klimaneutrale Verpackung, optimierte und klimaneutrale Logistik und weitestgehende Reduzierung von Retouren muss das Ziel sein. Technische oder digitale Lösungen (Stichwort „E-Mobilität“, „Predictive Analytics“, „Augmented Reality“, „KI“ oder „PIM“) unterstützen hierbei, erhöhen jedoch die Betriebskosten, was eventuell zu Preissteigerungen führt. Aber Kunden sind durchaus bereit, für nachhaltige und klimaschützende Maßnahmen etwas tiefer in die Tasche zu greifen.

Weniger Retouren mit PIM

Einer der häufigsten Gründe für Retouren ist die Abweichung zwischen Produktabbildungen beziehungsweise deren Beschreibungen im Onlineshop und dem gelieferten Artikel. Mit informativen Produktfotos und -videos, aber auch detaillierten Beschreibungen, die zu einem virtuellen Shoppingerlebnis einladen, lässt sich die Retourenquote senken. Um Artikel mit diesen Informationen anzureichern und dies besonders bei großen Sortimenten effizient zu gestalten, ist ein PIM-System die beste Wahl. Damit ist eine konsistente Datenverwaltung sowie performantes und stark automatisiertes Pflegen von Produktdaten problemlos möglich. Durch detailliertere Produktinformationen weicht die Erwartungshaltung des Kunden wesentlich seltener vom realen Produkt ab. Die Anzahl der Retouren kann auf diese Weise minimiert werden.

Durch KI erzielte Nachhaltigkeit stärkt Kundenbindung

E-Commerce und Nachhaltigkeit sind kein Widerspruch. Gefordert sind jedoch neue Denkansätze und oft der Mut, alte Gegebenheiten abzulegen und offen für Neues zu sein. Mit dem Ziel, die Customer Experience zu verbessern und die Kundenbindung zu erhöhen, werden schon jetzt über KI dem Kunden Produktvorschläge gemacht oder individuelle Predictive Baskets erstellt. Künftig gilt es, auch mit KI und E-Commerce-Technologien, verstärkt den Aspekt der Nachhaltigkeit zu fokussieren. Damit schließt sich der Kreis, denn die durch KI erreichte Nachhaltigkeit stärkt letztendlich auch die Kundenbindung.