Scrum Master Journey in Homeoffice-Zeiten

Scrum Master Journey in Homeoffice-Zeiten

26. Juli 2021

Marieke Dörschner

Wie viele von uns habe auch ich mich, vor allem im letzten Jahr, mit dem Thema Homeoffice und Remote-Arbeit beschäftigt. Insbesondere die Fragen „Wie hat sich die Rolle der Scrum MasterIn in dieser Zeit geändert?“ und „Was sind damit einhergehend neue Anforderungen an mich?“ gingen mir dabei durch den Kopf.

Vor nun schon deutlich über einem Jahr wurden wir ganz unverhofft in eine reine Homeoffice-Situation geworfen. Für uns als Firma war es eine vollkommen neue Situation, da wir bis dato nur sehr wenig reguläres Homeoffice hatten. Für uns war es immer wichtig, als gesamtes Team so viel wie möglich im Büro zusammenzuarbeiten. Zum einen, um als Organisation eine Verbindung zu haben und zum anderen, um die Produktivität der einzelnen Teams zu stärken. Aus diesem Grund war der Übergang ins Homeoffice für uns ein Wechsel von Null auf Hundert.

Die Rollen von Scrum MasterInnnen

Die Gewöhnung an das mobile Arbeiten verlief erfreulicherweise jedoch sehr schnell. Jeder konnte von Zuhause aus seine Aufgaben weiterverfolgen, die Technik funktionierte und regelmäßige Online-Meetings etablierten sich. Doch bald stellte sich uns Scrum MasterInnen die Frage, was das mit unserer Rolle macht. Es gibt eine wunderbare Grafik der Liberators, die aufzeigt, was eigentlich die unterschiedlichen Aufgaben einer Scrum MasterIn sind:

Mal angefangen mit der Rolle des “impediment removers“. In unserem Verantwortungsbereich liegt es, dabei zu helfen, Fehler, Probleme oder Blockaden im Team zu erkennen. Es liegt nicht in unserem Verantwortungsbereich, sie zu lösen. Wir sind da, um Lösungswege gemeinsam mit dem Team zu erarbeiten und somit die Eigenverantwortung des Einzelnen und des Teams zu stärken.  

Weitere Rollen sind die des Vermittlers (Faciliator), Mentoren und Coaches. Bei all diesen Aspekte stehen die Menschen, mit denen wir arbeiten, im Fokus. Sei es durch eine persönliche Begleitung, der Wissensweitergabe, Konfliktlösung und persönlicher oder Teamentwicklung. Zusätzlich sind wir auch Lehrer, in der Form, dass wir agile Methoden und das Arbeiten nach Scrum lehren. Außerdem bringen wir Möglichkeiten bei und zeigen auf, wie Arbeitsabläufe verbessert werden können. Immer mit dem Ziel, eigenständig gut arbeitende Teams aufzubauen und zu fördern. 

Wir sind „servant leader“ und seit der letzten Scrum Guide Erneuerung von 2020 sind wir als Scrum MasterInnen auch ganz offiziell “true leader”. Leader ist hier nicht gleichzusetzen mit einer klassisch hierarchischen Führungsperson, sondern als dienende Führung, als Sparring Partner für die Organisation, das Team und den Einzelnen zu verstehen.

Wir sind sicherlich auch häufig Manager, da wir uns um organisatorische Dinge kümmern. Daten, Zahlen und Fakten wie die Velocity oder ggf. andere Performance Messungen gehören zu unseren Aufgaben. Besonders aktuell ist natürlich auch die Rolle des „change agent“. Wir begleiten diese momentane Veränderung im Arbeitsleben und der Organisation. Manchmal provozieren wir vielleicht auch, dass sich etwas ändert. Denn häufig ist es der Stillstand, der die Weiterentwicklung hemmt.

Sicherlich muss gesagt sein, dass jede/r Scrum MasterIn abhängig von ihrer Person und der Organisation einen anderen Schwerpunkt innerhalb der Rollen setzt.

Was Scrum MasterInnen nicht sind

Genauso gibt es aber auch Aspekte, die eben nicht in der Rolle der Scrum MasterInnen angelegt sind, in die wir aber allzu schnell hineinrutschen. Auch hier gibt es eine Darstellung der Liberators:

Wir sind gerade nicht die Scrum Police. Nicht die, die auf die Finger klopfen, wenn ein Refinement mal ausgefallen ist. Wir sind auch keine Superheroes, die immer alles wissen und für jegliches Problem eine Lösung aus dem Hut zaubern.

Scrum MasterInnnen dokumentieren nicht alles. Sie sind auch keine SekretärInnen, die täglich den Kaffee an den Tisch bringen, damit der Mitarbeiter sich wohl und wertgeschätzt fühlt.

Wir sind keine Richter und auch keine Jira-Admins. Es ist natürlich super, wenn Scrum MasterInnen sich gut mit den genutzten Tools auskennen und auch helfen können. Aber es ist keine Grundvoraussetzung für den Job.

Wir sind auch kein Teamboss in dem Sinne, dass wir dem Team disziplinarisch überstellt sind, immer das letzte Wort haben und Entscheidungen treffen, sondern wir sind ganz klar ein Mitglied des Teams und haben keine Sonderstellung.

Soweit die Theorie. In der Praxis passiert es jedoch schnell, dass man in eine dieser Rollen verfällt. Dann wird doch noch schnell ein Termin eingestellt, Jira vorprogrammiert, damit Abläufe beschleunigt werden oder ein Machtwort im Team gesprochen. Das sind nur ein paar Beispiele für Momente, in denen jede/r Scrum MasterIn auch an sich arbeiten und ein großes Maß an Selbstreflexion haben muss.

Verschiebung der Rollen durch Homeoffice

Seit Beginn der Homeoffice-Zeit ist eine Verschiebung des Rollenverständnisses zu beobachten. Besonders spürbar war und ist diese Verschiebung an den folgenden Stellen: So hat sich, in meinem Fall, meine Arbeit in der Rolle des Coaches, der Rolle des Managers, der Rolle des Admins und manchmal vielleicht auch in der des Sekretärs in dem Sinne verändert, dass einige in den Hintergrund getreten und  andere sehr viel präsenter als vorher geworden sind. Der Grund dafür ist, dass sich aus meiner Sicht die Arbeitsstruktur im Homeoffice verändert hat und damit auch die Anforderungen an die Rolle.

Beginnend  bei der digitalen Kommunikation, wie wir sie gerade ausschließlich erleben. Diese Art ist eine eindimensionale Kommunikation. MitarbeiterInnen sind sehr viel mehr gefordert, ihre Themen klar anzusprechen und einzufordern. Informationen, die ich benötige, muss ich mir aktiv einholen, der Flurfunk wird länger brauchen, bis er bei mir ankommt.

Auch bei der Arbeit in den Teams gibt es eine große Veränderung: die Projektteams isolieren sich vom Rest der Mitarbeiter. Sie haben ihren eigenen Chat, ihre eigenen Meetings, in denen sie ihre Aufgaben besprechen und sich austauschen. Aber es findet meistens weniger Kommunikation zwischen den Teams statt, mit denen keine direkten Berührungspunkte bestehen. Aus meiner Sicht besteht die Gefahr, dass einzelne Personen eher für sich arbeiten und so das Wir-Gefühl verloren gehen kann. Doch wie lässt sich remote so ein Gefühl verstärken? Auf das zehnte virtuelle Feierabendgetränk hat vielleicht auch nicht mehr jeder Lust.

Ein weiterer Punkt ist sicherlich die individuelle Arbeitsstruktur, welche die Kommunikation beeinflusst. Im Homeoffice spielen viel mehr externe Faktoren eine Rolle, wie z.B. kleine Kinder, die parallel betreut werden müssen. Deshalb gibt es verschobene Arbeitszeiten. Der eine arbeitet eher morgens, der nächste eher nachmittags. Man weiß vielleicht auch nicht immer hundertprozentig, ob die Leute gerade aktiv sind oder nicht.

Und wie gehe ich in meiner Rolle mit diesen neuen Umständen um? Was fordert diese neue Art der Kommunikation?

Selbst in größeren Gruppenkonstellationen, z.B. in einem Videocall mit zehn Mitarbeitern, besteht immer die Situation, dass nur eine Person sprechen kann. Es können keine richtig lebendigen Diskussionen entstehen, es können keine Seitengespräche stattfinden. Doch gerade das ist es ja, was die Kreativität fördert und neue Ideen entstehen lässt. Es gibt auch immer Personen, die sich vielleicht gerade deshalb aus dem aktiven Gespräch ausklinken und nebenbei etwas anderes machen, was für eine gemeinsame Unterhaltung nicht förderlich ist. Von mir wird somit viel mehr Gesprächsführung gefordert. Selbst in gut funktionierenden Teams funktioniert es häufig nicht ohne aktives Auffordern, Moderieren, Zusammenfassen oder Delegieren. Ich bin folglich viel mehr Admin, als ich es eigentlich möchte.

Eine Möglichkeit, nicht über das komplette Meeting die Moderatorenrolle einzunehmen, aber dennoch für Aktivität zu sorgen, ist die, dass ich ein Teammitglied zu Beginn anspreche und ihn/sie bitte zu starten. Ist er/sie fertig, wählt er/sie eine neue Person aus, die weitermacht. Dadurch wird aktives Zuhören und Partizipieren gefördert. Als Scrum Masterin muss im besten Fall gar nichts mehr sagen, außer vielleicht bei bestimmten Dingen nochmal nachzuhaken.

Ein weiterer Punkt, den ich wahrnehme, ist eine stärkere Notwendigkeit Absprachen zu treffen (“wer macht eigentlich was“). Wenn wir als Team im Büro zusammensitzen, ist es kein Problem, wenn Dinge mal offengelassen und erst später angesprochen werden, wenn sie akut werden. Beim Homeoffice haben wir aber festgestellt: wenn wir die Dinge nicht morgens fix besprechen, gehen sie im Laufe des Tages unter. Man sagt ganz leicht „das besprechen wir dann später im Chat“, aber in der Praxis sieht es so aus, dass im Chat einfach so viele Nachrichten aufploppen und wenn mal was nicht gleich beantwortet wurde, sind schnell wieder andere Nachrichten da und die unbeantwortete Frage wird vergessen. Auch hier habe ich einen verstärkten Blick auf Organisatorisches und versuche vor allem den gesamten Überblick zu behalten.

Zwischen den Zeilen lesen

Ein weiterer Aspekt, der sich in der digitalen Kommunikation stark verändert hat, ist dieses „was passiert eigentlich zwischen den Zeilen“. Also wie geht es den Menschen wirklich, mit denen ich zusammenarbeite? Normalerweise gehe ich durch die Flure im Büro, habe meine Ohren einfach mal hier und da. Ich schnappe auf, wenn irgendwo vielleicht schlechte Stimmung im Raum ist.; bekomme mit, wo Erfolge gefeiert werden; bemerke, wo Probleme oder Konflikte bestehen und kann das betreffende Team in der Situation unterstützen.

In der remote Situation müssen diese Themen entweder aktiv an mich herangetragen werden oder ich muss es  durch Nachfragen herausfinden, woraus aber nicht das gleiche Ergebnis wie im Büro resultiert. Somit kommt Mentoring und Coaching aus meiner Sicht in remote Arbeitssituationen an vielen Stellen zu kurz. Wenn ich das Gefühl habe, dass Personen Redebedarf haben, kann ich sie einzeln ansprechen. Ansonsten bin ich darauf angewiesen, dass die Personen auf mich zukommen, gerade wenn es um softere Themen geht, die eine Art persönliches Coaching erfordern.

Betrachten wir die Rolle des Change Agents, so ist anzunehmen, dass diese in der aktuellen Situation sehr im Vordergrund stehen sollte. Schließlich haben die letzten 1,5 Jahre eine große Veränderung für die Arbeitswelt mit sich gebracht. Doch auch hier fehlt mir der ganz persönliche menschliche Austausch. Ich möchte verstehen, welchen Mitarbeitern diese Situation eher leicht fällt und welche vielleicht auch mit einer großen Herausforderung zu kämpfen haben. Aus meiner Erfahrung werden diese Themen nur ungern per Chat oder Videocall besprochen, da sie auch ein großes Maß an Mut erfordern. Zusätzlich spielt Körpersprache gerade bei sehr persönlichen Themen eine große Rolle, die digital selten in voller Gänze beim Gegenüber ankommt.

Alle Mitarbeiter im Boot zu behalten und das Miteinander auch in Krisen und Veränderungen zu stärken, sehe ich als meine Aufgabe. Digitale Kommunikation ist aus meiner Sicht dafür nicht ausreichend und Interventionen sind nur bedingt möglich.

Das House of Change

Ein Modell aus der Psychologie, welches Veränderungssituationen beschreibt bzw. den Ablauf von Veränderungssituationen ist das “House of Change”. Mir hilft dieses Modell in jeglichen Veränderungssituationen im Unternehmen immer sehr, um mir zu verbildlichen, wo wir als gesamtes Team, aber auch jeder Einzelne steht.

Wir alle durchlaufen die gleichen Stadien eines Veränderungsprozesses, aber auf unterschiedlich intensive Art und Weise. Zusätzlich gibt es auch verschiedene Charaktere und Rollen in Veränderungssituationen. Aus dem Zustand der Zufriedenheit, vielleicht die “Pre-Corona-Zeit“ werden wir durch externe Faktoren in den Veränderungskreislauf geschoben. Jede Person geht mit diesen Situationen und Stadien anders um. Und jede Person braucht evtl. auch andere Dinge, die ihr den Übergang in das nächste Stadium ermöglichen. Es ist ein vollkommen menschliches Verhalten, dass nicht alle im gleichen Tempo und auf die gleiche Art und Weise diese Schritte mitgehen. Die Frage bei dem Corona-Beispiel wäre auch, wie denn überhaupt der neue Zustand aussehen kann und wird?

Als Scrum Masterin sehe ich es als meine Aufgabe, diesen Prozess zu begleiten und die Mitarbeiter zu verstehen, an welchem Punkt sie im Prozess stehen, welche Sorgen und Ängste sie, ausgelöst durch die Krise, möglicherweise haben. Eine Aufgabe, die durch die remote Situation erschwert wird. .

Blicken wir nochmal zurück auf die zu Beginn genannten Ausprägungen der Rolle Scrum MasterIn, so ist zusammenzufassen, dass aus meiner Sicht wirkliches Coaching stark reduziert ist und administrative und koordinierende Aspekte  in den Vordergrund getreten sind. Zusammen mit den Teams versuche ich daran zu arbeiten, dass sich hier wieder ein Gleichgewicht einstellt. Ich glaube jedoch nicht daran, dass es jemals zu einem identischen Arbeitsgefühl und somit identischen Anforderungen an die Rolle kommen wird – egal ob Büro oder remote Arbeit.

Wie geht es weiter?

Auch wenn viele Firmen, so auch wir, langsam wieder mit ersten Präsenztagen im Büro anfangen, hat die Corona-Zeit das Arbeiten maßgeblich verändert und wird es auch weiter tun. Viele Firmen, die vorher gar kein oder kaum Homeoffice hatten, wollen ihren Mitarbeitern auch zukünftig Homeoffice-Tage anbieten. Ein paar wenige Firmen (prominente Beispiele sind Facebook, Twitter und Microsoft) wollen sogar ganz auf die Arbeit im Büro verzichten und die Mitarbeiter, sofern gewünscht, zu 100 Prozent im Homeoffice arbeiten lassen.

Uns ist es wichtig, dass man die Vorteile aus beiden Varianten zieht. Ein persönliches Meeting ist einfach immer noch anders als ein virtuelles Zusammentreffen. Zufällige Begegnungen am Kaffeeautomaten oder auf dem Büroflur lassen sich online schlecht nachstellen. Aber auch Vorteile von Homeoffice, wie z.B. die Zeitersparnis durch den Wegfall des Arbeitsweges oder die bessere Vereinbarkeit von privaten Belangen, verbessern das Arbeitsklima. Das Fazit für uns als Firma also: Eine gute Mischung von Arbeit vor Ort und Homeoffice, so dass man die Vorteile aus beidem nutzen kann, aber die Nachteile nicht zum Tragen kommen. Für die Rolle der Scrum MasterIn wird  ein hybrider Arbeitsansatz neue Herausforderungen mit sich bringen.

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass meine Ansichten natürlich von einer Scrum Masterin kommen, die Büroarbeit ursprünglich gewohnt ist. Ich bin mir durchaus auch der vielen Vorteile bewusst, die mobile Arbeitsformen mit sich bringen. Und auch im Gespräch mit KollegInnen, die schon lange remote mit ihren Teams arbeiten, weiß ich, dass das „Scrum Masterin sein“ auch so gut funktionieren kann. Aus meiner Perspektive haben beide Arbeitsformen bezogen auf diese Rolle unterschiedliche Ausrichtungen. Für mich ist die zwischenmenschliche Seite der Rolle, die für mich eher in der gemeinsamen Büroarbeit auftritt und möglich ist, eine sehr entscheidende.